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Wenn wir nicht bewusst leben, dann schauen wir aus dem Fenster und sehen Autos, Menschen, Katzen, Hunde und Sonnenuntergänge, ohne dass uns dabei unsere eigene Reflexion auffällt. Man könnte fragen: „Wieso sollte mich meine Reflexion interessieren? Sie blockiert doch nur die Sicht auf das, was ich draußen sehen will.”
In
 dieser Analogie steht die Reflexion für unsere Reaktionen auf das, was 
wir erleben. Ohne Achtsamkeit sehen wir „schicke” Autos, „hässliche und 
schöne Menschen”, 
„putzige” Katzen und „romantische” Sonnenuntergänge. Wir bewerten die 
Objekte anhand der Gefühle und Emotionen, die wir mit ihnen verbinden. 
Manchmal
 denken wir, dass Adjektive wie „hässlich” oder „schön” zum Objekt da 
draußen gehören, obwohl diese Eigenschaften in Wirklichkeit durch unsere
 Reaktion erzeugt
werden. Wenn wir aufmerksam unsere Reflexion im Fenster beobachten, 
können wir deutlich sehen, wie sich der Ausdruck in unserem Gesicht 
verändert, je nachdem, was wir uns gerade draußen anschauen. Ohne 
Achtsamkeit bemerken wir diese Reaktionen meist nicht.
(aus Ethik-heute.org)
  
Versteckte Ebene unserer Existenz sichtbar machen
Machen
 wir das Gedankenexperiment noch einmal und berücksichtigen dies. Nehmen
 wir an, mit genügend Achtsamkeit können wir sowohl die Welt da draußen 
als auch unser
eigenes Spiegelbild im Fenster beobachten. Wer gerne fotografiert wie 
ich, wird vielleicht sagen: „Das ist nicht möglich, wenn wir die Kamera 
auf das Fenster richten, dann können wir entweder das eine oder das 
andere fokussieren – aber nicht beides gleichzeitig.” 
Als
 ich angefangen habe mich mit Fotografie zu beschäftigen, hätte ich 
dieser Aussage zugestimmt. Aber mittlerweile kenne ich meine Kamera 
ziemlich gut und weiß,
wie man sie einstellen muss, damit man sowohl das eigene Spiegelbild als
 auch die Welt da draußen gleichzeitig im Fokus hat. Das gleiche gilt 
für unser Bewusstsein. Jeder bemerkt seine eigene Reflexion von Zeit zu 
Zeit, aber wir denken in der Regel nicht länger
darüber nach. 
Nur
 wer die mögliche Freiheit erkennt, die sich in dieser Entdeckung 
versteckt, beginnt auf sie zu achten. Achtsamkeit hilft uns, die Kamera 
so einzustellen, dass
wir sowohl unsere Reflexion als auch die Welt vor dem Fenster scharf 
sehen können. Dies braucht zwar etwas Übung, es ist jedoch möglich.
Diese
 versteckte Ebene unserer Existenz sichtbar zu machen hat einen großen 
Einfluss auf unser Leben. Wir gewinnen ein viel realistischeres Bild von
 dem, was wir
sehen. Die Reflexion ist eigentlich immer da, wir beachten sie nur nicht
 aufgrund unserer selektiven Wahrnehmung. 
Wenn
 wir ohne Achtsamkeit aus dem Fenster schauen, dann hat das, was wir 
sehen, relativ wenig mit der Realität zu tun. Ohne Achtsamkeit sehen wir
 lediglich die Gefühle
und Emotionen, die wir mit den Objekten unserer bewussten Erfahrung 
verbinden. Diese „Objekte” müssen nicht unbedingt Autos oder Menschen 
sein, sondern können auch die Form von Gedanken, Ideologien, Ansichten 
und Meinungen annehmen. Normalerweise sehen wir
nur unsere Vorlieben und Abneigungen. Unsere Kamera ist dann so 
eingestellt, dass unsere Reflexion unscharf und nicht wahrnehmbar für 
uns ist.
Wenn
 unsere Kamera noch nicht eingestellt ist, erkennen wir oft nicht, dass 
der unachtsame Blick aus dem Fenster für die eigene Unzufriedenheit und 
selbst erzeugtes
Leid verantwortlich ist. Wenn wir uns unserer Reaktionen nicht bewusst 
sind, dann erleben wir unweigerlich ein unterschwelliges Gefühl der 
Unzufriedenheit. Wir fühlen uns, als ob irgendetwas in unserem Leben 
fehlt. Dieses Gefühl mag zwar gelegentlich verschwinden,
kommt aber immer wieder zum Vorschein, wenn innere oder äußere 
Bedingungen bestimme Reaktionen in uns hervorrufen. 
Da
 wir unser Glück von äußeren Bedingungen abhängig machen, befinden wir 
uns in einem nicht endenden Kreislauf von emotionalen Höhen und Tiefen. 
Wir machen unsere
Zufriedenheit von den Objekten in der Welt vor dem Fenster abhängig, 
obwohl in Wirklichkeit unsere Reaktion auf diese für unsere 
Zufriedenheit oder Unzufriedenheit verantwortlich ist. Mit Achtsamkeit 
können wir dies sichtbar machen und es eröffnet sich eine
vollkommen neue Perspektive auf das Leben.
Die Illusion durchschauen
Diese
 Erkenntnis kann sowohl befreiend als auch beängstigend sein, denn sie 
zeigt, dass bestimmte Aspekte unseres Lebens auf einer Illusion 
aufgebaut sein könnten.
Unsere gewöhnlichen Reaktionen sind oft unbewusst und zwanghaft. Erst 
die Achtsamkeit gibt uns die Freiheit und den Raum, nicht aus unserer 
Getriebenheit heraus zu reagieren. Sie macht unsere Reaktionen auf die 
Welt sichtbar, da wir zu aufmerksamen Beobachtern
werden. Damit haben wir mehr Entscheidungsfreiheit.
Durch
 ein besseres Verständnis unserer eigenen Reaktionen, nimmt die Tendenz 
des Geistes ab, festhalten zu wollen. Schritt für Schritt werden wir in 
der Lage sein,
das Anhaften zu verstehen und zu verwandeln: die emotionalen 
Verletzungen, Sehnsüchte, Ängste, Stolz, Neid und alle Verhaltensmuster,
 mit denen wir uns selbst und anderen Leid zufügen. 
Im
 Laufe der Zeit wird unsere Zufriedenheit immer weniger abhängig von 
äußeren Umständen sein. Wir können dann auch inmitten einer schwierigen 
Situation ausgeglichener
reagieren. Der Raum, der zwischen Sinneseindruck und Reaktion entsteht, 
gibt uns die Freiheit, einen weniger dualistischen Geist zu kultivieren.
 So können die heilsamen Qualitäten hervortreten. 
Wenn
 wir die Welt weniger dualistisch wahrnehmen können, dann haben wir auf 
einmal viel mehr Raum, uns um andere zu kümmern, da unsere eigenen 
selbstgemachten Probleme
unbedeutender werden. Um innere Freiheit zu erleben, müssen wir die 
schwierigen Emotionen nicht wegschieben oder unterdrücken. Es geht 
darum, die Einstellung zu ihnen zu ändern und uns mit ihnen nicht zu 
identifizieren. Diese Möglichkeit steht uns immer dann
zur Verfügung, wenn wir uns nicht von unseren Emotionen mitreißen 
lassen. 
Übersetzt
 in die Fenster-Analogie: Wenn wir in der Lage sind, sowohl unsere 
Reflexion als auch die Welt außerhalb des Fensters wahrzunehmen, sind 
wir nicht mehr
gezwungen, aus Getriebenheit heraus zu reagieren. Jedes Mal, wenn wir es
 schaffen, in einer schwierigen Situation diesen Perspektivenwechsel 
vorzunehmen, wird die Achtsamkeit zu einer Art sicherem Hafen, um als 
freier Mensch zu reagieren.
Durch Übung
 wird der Raum zwischen Sinneseindruck und unserer Reaktion größer. Wenn
 man die heilsamen Qualitäten kultiviert, dann wird es viel 
wahrscheinlicher,
dass wir spontan mit Verständnis reagieren, anstatt beispielsweise mit 
Zorn. So hilft Achtsamkeit, die Reaktionen auf natürliche Art und Weise 
friedlicher und weiser werden zu lassen.
Andreas Frickinger
 
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